Augenzeugen berichten über den Herbst 1944

Mich interessiert, wie Menschen in Kohlscheid und Umgebung die letzten Kriegshandlungen ab Herbst 1944 wahr genommen haben. Wie haben sie gelebt, gelitten, überlebt? Darüber berichten die überlieferten Kriegstagebücher. Vgl. die Auswahl 1944-45 Kriegsende im Aachener Raum.

 

Wenn man diese Tagebücher liest, fallen bei den Schilderungen Gemeinsamkeiten auf. Andere Beschreibungen gelten eher lokal. Zu den wieder kehrenden (Überlebens-)Themen führe ich Hinweise von Kohlscheider Augenzeugen an, im Zitat oder zusammen gefasst. Personennamen sind gelöscht oder verändert! Das ergänze ich bei Bedarf mit passenden Informationen aus anderen Ortschaften.

 

Hinweis: zur Einordnung ins Zeitgeschehen sind Überblicksdarstellungen wichtig wie die von Aretz Die Eroberung des Aachener Raumes durch die Alliierten im Herbst 1944 in Daten.

(Über-)Lebensthemen Kriegsende 1944-45

Die Überschriften für meine Auswahl aus den Tagebüchern:

ANGST – in allen denkbaren Varianten

Bomben, Granaten, Schüsse aller Art

 Fliegeralarm, Luftkrieg

Straßenkampf

Zerstörungen

Tod und Verwundung

Evakuierung. Bleiben oder unter Zwang die Heimat verlassen?

Ärger mit der Partei

Schikane der Braunen

Die Versorgungslage

Hunger

Leben in Schutzräumen

Ausgehbeschränkungen

Sperrstunde

Plünderungen

Solidarität

Beispiele

Ich mute Dir eine Sammlung von Textstellen aus den Tagebüchern zu - ohne Quellenangabe und vorerst ohne weitere Bearbeitung:

ANGST – in allen denkbaren Varianten

Unsicherheiten, Sorgen und Ängste sind unterschwellig immer mit dabei:

  • Die Angst vor der Entdeckung, wenn die Braunen zwangsevakuieren.

  • Die Angst vor der Zerstörung des Hab und Guts.

  • Die Angst vor Verletzungen.

  • Die Sorge um Angehörige, Nachbarn, Freunde – wenn man nicht weiß, wie es bei ihnen aussieht.

  • Die Sorge um die gesundheitliche Versorgung, wenn Ärzte nicht erreichbar sind.

  • Die Sorge ums Seelenheil, wenn im Todesfall, der Priester nicht kommen kann.

  • Die Sorge um die Kinder, wenn Essen und Trinken nicht ausreichen.

  • Die Angst im Angesicht der schussbereiten Waffen, bei Deutschen wie Amerikanern.

Die daran anschließenden Fragen: was gab Lebensmut, Hoffnung usw

 

Bomben, Granaten, Schüsse aller Art

Wenige Tage nach der Besetzung Kohlscheids kommen Geschütze und graben sich in den umliegenden Wiesen ein. Die Häuser erbeben, wenn die Salven abgeschossen werden, öfters schlagen in unserer Nähe deutsche Granaten ein; doch ihre Wirkung ist nicht besonders groß.

 

Fliegeralarm, Luftkrieg

 

Aachen:

Mutter ging mit einer brennenden Kerze voran, damit wir uns in dem dunklen Keller zurechtfanden. Wir hofften, für den Rest der Nacht Ruhe zu haben. Nach einer Stunde - wir lagen gerade wieder in unseren Betten - heulte die Sirene wieder: Großalarm! Diesmal wurde es noch schrecklicher. Wir standen wieder in der Nische. Manchmal waren das Zischen und Detonieren der Bomben so schrecklich, dass unsere Stimme beim Beten nicht mehr gehorchte. Jedes Mal, wenn wir das singende, näherkommende Zischen der Bomben hörten, dachten wir: "Jetzt trifft sie uns!" Dann folgte eine ganz kurze unheimliche Stille, darauf das Aufschlagen und das schrecklich überlaute Detonieren der Bombe. Es war so unerträglich laut, dass wir unwillkürlich mit beiden Händen die Ohren zuhielten, weil wir glaubten, der Kopf würde platzen. Die Mauern bebten, und die Kellertüren sprangen auf.

 

Diese schrecklichen 18 Minuten - sie kamen uns endlos vor - werde ich nie vergessen können. In dieser Nacht starben 198 Menschen und 156 wurden verletzt; in Eilendorf starben 52 Menschen, dazu waren viele verletzt.

 

Ab September Tieffliegerangriffe mit Bomben und schwerem Beschuss.

 

25.09.1944 Starker Beschuß und rege Fliegertätigkeit über Kohlscheid bis zum 30. September.

 

27.09. 12 amerikanische Flieger suchten heute die deutsche Artillerie-Stellung an Küppershof - sie flogen ganz tief und belegten das Gelände mit Markierungsbomben - bald darauf begann ein Trommelfeuer.

 

Als Trommelfeuer bezeichnet man einen massiven Artilleriebeschuss auf ein bestimmtes Gebiet. Die Detonationen der einschlagenden Granaten gehen dabei in ein dröhnendes Donnern über, einzelne Einschläge sind nicht mehr herauszuhören. Die Artillerie soll hierbei Flächenwirkung erreichen und weitgehende Vernichtung im Zielgebiet erreichen. Die Geschütze schießen dazu Dauerfeuer gemäß Zeitvorgabe.

 

12.10.1944: Volltreffer im Garten, aber ohne nennenswerten Schaden.

 

18.10.1944 Nun beginnt der starke Beschuß über Würselen. Kohlscheid wird mit schweren Artilleriegeschützen belegt.

 

Mittwoch, 3. Januar ln der Neujahrsnacht fielen in Aachen deutsche Bomben, und zwar am Holzgraben/Ecke Büchel und am Löhergraben

 

Straßenkampf

 

In AC: Später erst wurde es ernst. Straße um Straße rückten sie vor und aus Vorsicht und Sorge vor Gegenwehr, ‚beharkten’ sie die Häuserfronten systematisch mit Maschinenpistolensalven. Man kann heute nur ahnen, wie wir uns gefühlt haben, als wir im Keller sitzend die Einschläge hörten. Ein Mitbewohner hat sich schließlich mit einer weißen Fahne aus dem Haus getraut und den Amis zu verstehen gegeben, hier sind nur Zivilisten.

Heftiges Artillerie-Feuer.

 

4. Oktober

Andauernd Panzerbeschuss

Zwangsräumung

Zerstörungen

Geuchter Hof ist geräumt, er hat 3 Artillerie-Treffer - Brandkanister über Ürsfeld - das Benzin sammelte sich an der Oberfläche des Weihers - augenblicklich war er ein Flammen-Meer - das Gebäude blieb vom Brand verschont.

 

8.10.: Gegen 4 Uhr nachmittags schlug ein Blindgänger in den Dachstuhl des Heubodens - das Dach des gegenüber liegenden Wohnhauses wurde beschädigt.

 

Tod und Verwundung

wurde durch Granatsplitter beim Wäsche aufhängen lebensgefährlich verletzt. Wegen der großen Gefahr

konnten weder Priester noch Arzt kommen.

 

21.12.1944: Drei Kinder wurden beim Spielen mit Handgranaten tödlich verletzt.

45 viele Meldungen über Verwundungen, in Kohlscheid oder bei Angehörigen außerhalb oder an der Front

 

15. September: Von heute an sind wir ohne Licht, wir können keine Nachrichten hören. Keine Post, ohne Zeitung, keine Kleinbahn, kein Zug.

 

Evakuierung. Bleiben oder unter Zwang die Heimat verlassen?

 01.09.1944: Ab 1. September wurden alle verfügbaren Kräfte zum Schanzen eingesetzt, sogar Männer aus der Bonner Gegend. Auch damit gelang uns nicht, den Feind zurückzuhalten. Für uns trat jetzt die Räumungsaktion in Kraft. Bei der ersten Verfügung hieß es, daß alle, die ein Ziel hätten, fahren sollten. Nun begannen so langsam für Kohlscheid die Flüchtlingstage, fast alle Betriebe wurden stillgelegt.

 

Ärger mit der Partei

 

19.09.1944: Die Braunen zogen die mit den Autos durch die Straßen und holten alle Männer und Flauen heraus und fuhren sie bis zur Bahnstation Schleiden.

 

20.09.1944: Mittags um 13.00 Uhr hieß es, daß alle Tabakwaren frei verkauft würden. Auf dem schnellsten Wege wurden diese besorgt, für jeden 6 Zigarren. Aber das war nur ein Trick, damit die Leute auf die Straße kamen. Nun fing für uns Männer und Frauen das sogenannte Versteckspiel an. Jeden Margen kam die Parole van Haus zu Haus:

 

"Die Braunen sind da." Dann wurde sich in Schlupfwinkeln versteckt; denn was die Braunen erhaschen konnten, wurde aufgeladen. So ging das Manöver 14 Tage.

 

Mit seiner Familie entzog sich mein Vater der Zwangsevakuierung. Das hatte zur Folge, dass die Familie einen Monat auf dem Speicher im Nebengebäude leben musste. Mein Vater und mein Bruder hoben Dachpfannen ab, um zu beobachten, ob Leute der SS sich dem Gebäude näherten. Wir Kinder mussten uns Tag und Nacht absolut still verhalten. Waschküche, Bad und Toilette befanden sich im Nebengebäude, in dem auch der Heuspeicher, auf dem wir uns aufhielten, war. Es konnte kein Feuer gemacht werden, so dass wir genötigt waren, Kartoffeln u. a. Lebensmittel roh zu verzehren. Es gab nichts außer Heu, in dem wir auch schlafen mussten. Das Haus musste absolut verlassen wirken. Nachts holten die Eltern die nötigen Lebensmittel aus dem Keller im Haus.

 

Als im Herbst 1944 die SS die Evakuierung in Pannesheide abgeschlossen hatte, konnten wir wieder in unser Haus zurückgehen.

 

22.09.: Kohlscheid liegt weiter unter Beschuß. Die Front bewegt sich nicht auf Kohlscheid zu. Die Evakuierung wird fortgeführt. Die SA durchkemmt die Häuser. In der Weststraße kommt es zwischen Kohlscheider Männern und den Braunen zu einer Schlägerei. Um sich vor der SA zu schützen, schreibt man sehr deutlich auf die Haustür, wohin man evakuierte und gibt echte und Scheinadressen an. Hier kontrolliert die SA nicht mehr - die Bevölkerung haust nur noch in den Kellern.

 

23.09.: Beschuß und Zwangsevakuierung halten an. Heute ist Klinkheide das ziel der SA, die ca. 20 Autobusse mit Menschen vollstopft. Die Sammelstelle am Ehrenmal in Kohlscheid kann wegen fehlender Busse bis zum Abend nicht geräumt werden, die Leute müssen wieder nach Hause. Nachdem die Zechenalage von Laurweg getroffen wurde, gibt es keinen Strom mehr. (Aretz, Herbst 1944)

 

Schikane der Braunen

die Flucht der Partei

SA von außerhalb

Kühe, Wagen, Pferde wurden von der Partei requiriert.

 

Donnerstag 5. Oktober 1944: ln der Nacht vom 4. - 5. Oktober ist der Nazi-Bürgermeister von Kohlscheid, Herr Zimmermann, mit seinen Beamten verschwunden. Dieser Terror hat ein Ende gefunden.

Samstag 7. Oktober: Große Aufregung - in Richterich hatte man dem Amerikaner Lichtsignale gegeben und das

Kabel durchgeschnitten, deshalb sollte das Dorf bis 8 Uhr geräumt werden. Die Deutschen hatten gedroht, wer nach 8 Uhr abends angetroffen werde, sollte erschossen werden.

Große Aufregung - in Richterich hatte man dem Amerikaner Lichtsignale gegeben und das

Die Versorgungslage

Hunger

in der Hauswiese 7 Kühe getötet.

Außerdem mussten noch 3 Kühe notgeschlachtet werden

durch heftigen Beschuss konnten die Tiere nicht verwendet werden.

 

Nach dem 16. Oktober 1944: Es gibt keinen Strom, es gibt kein Wasser. Letzteres wird aus den noch vorhandenen Brunnen geholt. Brot gibt es entweder in der Mühle in Pannesheide oder in der Bäckerei der Hillko an der Weststraße. Kartoffeln und Obst hatte man noch rechtzeitig eingekellert. Fleisch gibt es ab und zu von dem zerschossenen Vieh; es muß unter Lebensgefahr herangeschafft werden.

Leben in Schutzräumen

Ab September 1944 in AC: So verbrachten wir die nächsten Wochen im Keller oder im Bunker, je nachdem. Wir durften uns ja nicht mucksen, damit wir nicht noch irgendwelchen deutschen Soldaten oder braunen Schergen in die Hände fielen. Als Licht lediglich eine kleine Karbidlampe. Gekocht wurde abends oder in der Nacht im Keller von Vorräten aus einem benachbarten Lebensmittelladen und einer Bäckerei, die uns das erlaubt hatten als sie gingen. … So haben meine Mutter und ich den ganzen Winter im Keller gelebt. Kälte. Dunkelheit. Alles war kaputt, überall Trümmer und kaum Menschen. Aber da hat sie sogar gekocht – ich weiß heute nicht mehr wie sie das geschafft hat.

 

25.09.1944: Nun hausen wir mit 13 Mann im Keller. Trotz Leid und Kummer, trotz Artilleriebeschuß mußten wir noch lachen, denn wir führten ein Zigeunerleben. Gewaschen wurde sich morgens auf dem schnellsten Wege, die Not wurde verrichtet im Handumdrehen. Mit der Hose in der Hand ging es im Laufschritt zum Klo.

 

Tag und Nacht heulten die Granaten an unserem Hof vorbei - wir verbrachten in all den Wochen manche Stunde im Keller

 

Wir saßen heute wieder Iange Zeit im Gewölbe

 

24.09.1944: Weiterer Beschuß im Zentrum Kohlscheids. Nun beginnt für uns das Kellerleben. Im Keller wird gekocht, gegessen und geschlafen. Also Tag und Nacht im Keller.

 

25.09.1944: Nun hausen wir mit 13 Mann im Keller. Trotz Leid und Kummer, trotz Artilleriebeschuß mußten wir noch lachen, denn wir führten ein Zigeunerleben. Gewaschen wurde sich morgens auf dem schnellsten Wege, die Not wurde verrichtet im Handumdrehen. Mit der Hose in der Hand ging es im Laufschritt zum Klo.

 

16.10.1944: Morgens 7.00 Uhr letzter Beschuß über Kohlscheid. 8.30 Uhr erhielten wir die Nachricht: "Der Amerikaner ist auf dem Marktplatz." Alle wie aus einem Munde: "Gott sei Dank!" Schon hörten wir die Panzerwagen in der Nordstraße rollen und abends 17.00 Uhr kamen die ersten Amerikaner in die Mühlenstraße. Der 16. Oktober war für uns nach dreiwöchigem Warten ein Freudentag, denn wir konnten nach einmal nach draußen gehen.

 

19.10.1944: Nun können wir uns wieder so langsam nach oben bewegen, aber nur bei Tage.

 

Ausgehbeschränkungen

Sperrstunde

Sobald die Dämmerung einsetzte, war Sperrstunde, das bedeutete: niemand durfte mehr die. Straße betreten, außer Personen, die. einen besonderen Ausweis besaßen, wie zum Beispiel Priester.

Passierscheine

 

3. Oktober: Die Amerikaner gaben bekannt, dass von 7-9 Uhr vormittags die Straße für das Publikum freigegeben würde

 

Samstag, 20 Januar 1945: Endlich werden heute in Kohlscheid die Pässe ausgestellt - genau wie in Aachen darf sich niemand vom Ort entfernen - Ausgang in der Gemeinde Kohlscheid: von 10 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags

 

Am 24. März: im Landkreis Aachen darf man 5 km im Umkreis gehen - nicht zur Stadt.

06.11.1944: Neue Verfügung: Ausgang für Frauen morgens von 9-10 Uhr und nachmittags von 14 - 16 Uhr.um eine Stunde verlängert.

22.12.1944: 

Neue Verfügung: Ausgang von 8.00 - 10.00 und von 15.00 - 17.00 Uhr. Heute am Morgen um 8.00 Uhr beim Amt melden zwecks Straßenbau bei den Amerikanern, aber leider kamen keine Autos.

06.03.1945: Neue Verfügung: Ausgangszeit für alle Personen van 6.00 - 19.00 Uhr.

Plünderungen

Solidarität

Situationen

 

Sonntag, 22. Oktober: Heute Morgen ist Personenstandsaufnahme der Bürgermeisterei Kohlscheid, vorgenommen durch Herrn Göbbels: Es sind noch 60 % der Bewohner in Kohlscheid geblieben. Der ehemalige Bürgermeister Zimmermann hat 21.000 Zigarren mitgenommen, die Eigentum des EBV waren. Kühe sind in Malmedy für 180 Mark enteignet worden und von hiesigen Landwirten gekauft worden.

Samstag, 27. Januar: Zu unserer großen Freude lief heute die Wasserleitung

Am 19. Mai haben wir endlich Strom und Kraft bekommen.

Am 16. Oktober besetzen die Amerikaner Kohlscheid

Siehe die Beispiele zum 16. Oktober 1944.

Für viele war die "Besetzung" eine Befreiung, das endgültige Ende der "braunen Zeit".