Nachruf auf Carl Hilt in "Arbeiterwohl"

Carl Hilt starb auf der Höhe seines Schaffens. Den Nachruf in der Verbandszeitschrift "Arbeiterwohl" veröffentliche ich hier als Würdigung seines Lebens.

"Arbeiterwohl" war die Zeitschrift des gleichnamigen Verbandes: Organ d. Verbandes Katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde.

Carl Hilt war 18. Mai 1880 Gründungsmitglied und arbeitete seitdem im Vorstand mit.

Die Zeitschriftenbände wurden von GoogleBooks digitalisiert. Daher stammt das Transkript, von mir bearbeitet, mit meinen Hervorhebungen, trotz der fürs Internet unüblichen Textlänge:

 

Arbeiterwohl Achter Jahrgang. 4., 5. u. 6. Heft. April, Mai, Juni. 1888

 

Der Verband Arbeiterwohl" hat einen schweren Verlust zu beklagen. Am 15. April d. J. ist unser Vorstands-Mitglied, Herr Berg-Assessor a. D., Special-Director der VereinigungsGesellschaft für Steinkohlenbau im Wurmrevier,

 

Karl Joseph Hilt zu Aachen,

 

gestorben. Ein Gehirnschlag hat seinem edeln, thatenreichen Leben ein jähes, viel zu frühes Ende bereitet. In der Fülle des Mannesalters, auf der Höhe seiner Arbeitskraft stehend, in Erfüllung seiner Berufspflichten, inmitten seiner Arbeiter wurde er dahingerafft der Herr hat seinen treuen Arbeiter abberufen. Hilt war geboren zu Simmern auf dem Hunsrück im Jahre 1835. Er absolvirte seine Gymnasialstudien in Trier mit größtem Erfolge und erwählte sich das Bergfach zu seinem Lebensberufe. In Bonn und Berlin lag er den Universitätsstudien ob, die praktischen Arbeiten und Studien betrieb er auf größern Reisen, und nach neunjähriger angestrengter Thätigkeit machte er sein Assessor - Examen zu Berlin mit dem Prädicat „vorzüglich“. Sofort wurde er als königl. Berg-Inspector auf der Grube „Gerhard Prinz Wilhelm“ in Luisenthal angestellt, und hier verblieb er fünf Jahre. Doch weil er einsah, daß er für seine Pläne im Staatsdienste nicht die erforderliche Unabhängigkeit und freie Bewegung finden würde, und da er seine Ueberzeugung stets hochhalten und sich nicht verkümmern lassen wollte, verließ er den Staatsdienst im Jahre 1870. Er erhielt einen seinen Wünschen entsprechenden Wirkungskreis bei der Vereinigungs-Gesellschaft in Kohlscheidt bei Aachen, als deren Special-Director er die Geschäfte bis zu seinem Tode mit unermüdlicher Sorge für das Gedeihen der Gesellschaft und das Wohl der Arbeiter leitete.

 

Mit Geschäftskenntniß und Umsicht hat er der Gesellschaft über die schwere Krise der siebenziger Jahre hinweggeholfen, deren Lage durch Verbesserung des Betriebes und Ankauf neuer Gruben stets gehoben, ohne den vollständigen Erfolg seines Wirkens, den er voraussah, erlebt zu haben.

 

Ganz besonders aber war seine Fürsorge der Hebung der Arbeiter zugewendet. In dem Bericht zum 50 jährigen Bestehen seiner Gesellschaft gibt er selbst einen Ueberblick über die Maßregeln, die zum Wohle der Arbeiter getroffen wurden. (Vgl. „Arbeiterwohl“ 1887. S. 85 ff.) Erst kürzlich hatte er die Betriebsübernahme der großen Grube „Maria“ seitens der Vereinigungs-Gesellschaft veranlaßt. Ueberstieg auch die vermehrte Arbeitslast seine Kräfte, so unterzog er sich gern den Anstrengungen einer vollständigen Umgestaltung und Neuorganisation der dortigen Betriebs- und Arbeiter-Verhältnisse, nicht an letzter Stelle, weil er damit die Lage von ca. 2000 Arbeitern zu bessern beabsichtigte. Und gerade als er den auf der Grube versammelten Beamten die Vortheile, deren sich diese neu hinzugekommenen Arbeiter in Zukunft erfreuen sollten, darlegte, traf ihn der tödtliche Schlag.

 

Doch nicht bloß den Arbeitern seiner Gesellschaft war er fürsorgender Vater und Wohlthäter dem ganzen deutschen Arbeiterstande galt seine Liebe und Sorge. In diesem Sinne, zur Hebung der Industrie, zur Förderung des Wohles der Arbeiter, wirkte er im „Verein für die berg- und hüttenmännischen Interessen“ zu Aachen, dessen langjähriges Mitglied und Vorsitzender er war. Darum folgte er dem Rufe in die deutsche Schlagwetter-Commission, um hier in namhafter Weise für die Beseitigung der den Bergmann stets umlauernden tückischen Gefahren für Gesundheit und Leben zu wirken. Deshalb nahm er die neuen Lasten der Gründung des allgemeinen deutschen Knappschafts-Verbandes an, der ihn zu seinem Präsidenten machte; deshalb arbeitete er mit unermüdlichem Eifer für die Bildung eines Verbandes der deutschen Berufsgenossenschaften, dessen weiterer Bestand noch seine letzte Sorge und Freude war; darum lieh er dem Ehren-Comité zur Vorbereitung der für 1889 geplanten Ausstellung für Unfallverhütung als Mitglied seine thätige Theilnahme.

 

Speciell als Vorsitzender der Knappschafts-Berufsgenossenschaft und als Mitglied des Reichsversicherungsamtes war er so recht in der Lage, im Sinne des praktischen Christenthums an der Durchführung der Social-Gesetzgebung mitzuarbeiten und Material und Anregung für den weitern Ausbau zu gewinnen. Eine Frucht der reichen Erfahrungen und Kenntnisse waren die Vorschläge für die Organisation der Alters-, Invaliden-, Wittwen- und Waisen-Versicherung des Verbandes „Arbeiterwohl“ (vgl. Arbeiterwohl" 1887, Heft 4 und 5), die in ihren wesentlichen Bestimmungen vor allem dem Verstorbenen zu danken sind.

 

Warme Nachrufe sind dem pflichttreuen, bewährten Beamten, dem als Auctorität geschäßten Fachmanne, dem edeln Arbeiterfreunde, dem treuen Collegen und Freunde von Seiten der verschiedenen Vereinigungen gewidmet worden. Besonders schmerzlich aber wird sein Verlust in unsern Reihen empfunden. Mit ganzer Seele Katholik, der seinen religiösen Pflichten mit gewissenhaftester Frömmigkeit nachkam, vertrat er diese seine Ueberzeugung offen und frei. Seine Ueberzeugungstreue und Ehrenhaftigkeit gewannen ihm bei allen politischen Parteien Anerkennung und Achtung. In dem Verstorbenen ist zur Wahrheit geworden die Mahnung, welche er auf der „34. General-Versammlung der Katholiken Deutschlands“ in Trier (1887) an seine Collegen gerichtet: „Treten wir als katholische Arbeitgeber nicht zurück, überlassen wir nicht alles den Andersgläubigen und Andersdenkenden, nehmen wir voll und ganz Theil an den Verwaltungen (in den Berufsgenossenschaften), dann wird auch katholischer Geist und katholisches Streben in diese Verwaltungen einziehen, dann wird unsere Stellung auch nach dieser Richtung hin diejenige sein, auf die wir mit Recht Anspruch machen können.“ (Bravo !)

 

Was der edle Hingeschiedene für „Arbeiterwohl" war, wissen die zu schäzen, welche das Glück hatten, mit ihm im Vorstande zusammen zu arbeiten. Waren es in erster Linie die umfassenden Kenntnisse und reichen Erfahrungen, oder war es mehr die Schärfe des Urtheils und der warme Ton der Ueberzeugung, gepaart mit bescheidener Zurückhaltung und steter selbstloser Bereitwilligkeit, auch andern Anschauungen und Gründen Gehör und Gerechtigkeit zu gewähren, oder war es endlich der edle Charakter, die persönliche Freundschaft, welche uns den Verlust so unerseglich, die Erinnerung so theuer machen?!

 

Wie sehr dem Verstorbenen „Arbeiterwohl" am Herzen lag, beweist die Thatsache, daß derselbe von Anfang an im Vorstande thätig, bei keiner Sitzung, bei keiner Generalversammlung je gefehlt hat. Bei allen Berathungen, Veröffentlichungen 2c. hat er stets den lebhaftesten Antheil genommen, und das bei den vielseitigen Sorgen und Arbeiten, die auf seinen Schultern lasteten. Auch in der Actiengesellschaft Arbeiterwohl" in Aachen, bei der Schöpfung und Verwaltung des Arbeiterinnen-Hospizes und -Vereins, war der Verstorbene als Vorstandsmitglied hervorragend thätig.

 

[ocr errors]

 

In Aller Erinnerung ist noch die Rede des Verstorbenen auf der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" in Trier. Dieselbe ist, wir möchten sagen, sein sociales „Testament“ geworden. Es war das Programm von „Arbeiterwohl“, welches er dort entwickelte — sein eigenes Lebensprogramm, dessen Ausführung er seine ganze Kraft geweiht hat. Es waren nicht rhetorische Phrasen er hat es mit seinem Tode besiegelt -, wenn er den Arbeitgebern in jener Rede zuruft: „Auch ihr seid Arbeiter, auch von euch gilt das Wort: »Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen!« auch euch gilt das Wort: »Bete_und_arbeite!« und die im rechten Geiste, namentlich die in diesem Sinne verrichtete Arbeit wird auch euch als Gebet angerechnet werden.“

 

In der Generalversammlung von „Arbeiterwohl", ebenfalls in Trier, war es ihm auch noch vergönnt, für die Nothwendigkeit einer weitern Ausdehnung unserer Arbeiterschutzgesetzgebung -Verbot der Kinderarbeit, Beschränkung der Frauenarbeit, speciell der Beschäftigung verheiratheter Frauen, Sicherung der Sonntagsruhe, Begrenzung der Arbeitszeit durch einen gesetzlichen Maximal-Arbeitstag nachdrücklichst Zeugniß abzulegen. Derselbe trug sich sogar mit dem Gedanken, der Aufforderung des Hrn. Dr. Windthorst: Vom Standpunkte des Arbeitgebers aus eine eingehendere Vertheidigung der Centrums-Anträge zum Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung zu schreiben, Folge zu geben. Auch hatte derselbe die Absicht, sobald die Organisation der neuerworbenen Gruben getroffen und im Gange sei, ein Mandat zum Reichstage anzunehmen, um in und mit dem Centrum an der socialen Gesetzgebung mitzuarbeiten.

 

Wir, - das ganze deutsche Vaterland hat viel an Hilt verloren! Seiner Familie war er der sorgsamste Gatte und treueste Vater eine Wittwe und acht Kinder trauern an seinem Grabe -; seinen Arbeitern ein gerechter und wohlwollender Vorgesetzter, seinen Bekannten ein treuer Freund, seiner Kirche ein bis in den Tod gehorsamer und ergebener Sohn, Allen ein Vorbild hingebender Pflichterfüllung und wahrhafter Frömmigkeit. Ergreifend war die Andacht, mit welchen er die Sterbesacramente empfing, rührend der Dank gegen den Priester, der sie ihm gespendet. Mit klarem Bewußtsein traf er die letzten Anordnungen. Der christliche Glaube verklärte seinen Heimgang.

 

Als Wahlspruch und Inhalt seines Lebens können die Worte gelten, auf die er in seiner Trierer Rede so eindringlich hingewiesen hat: „Bete und arbeite."

 

Er ruhe im Frieden!

 

Wie hoch unser Hilt in weiten Kreisen geschätzt war, beweisen die ihm gewidmeten Nachrufe. Er hat Großes geleistet Größeres zu leisten wäre ihm noch, aller menschlichen Voraussicht nach, beschieden gewesen. Gott hat es anders gewollt!

 

Einige Stellen aus diesen Nachrufen mögen als Gedenkblatt hier mitgetheilt werden.

 

Der Vorstand der Knappschafts-Berufsgenossenschaft gedenkt seiner Wirksamkeit in warmen Worten (s. „Compaß“ 1888; Nr. 12 und 13):

 

„Durch seine reiche, ungewöhnliche Begabung, und weil er, streng gegen sich selbst, sein Vergnügen und seine Erholung nur in der Arbeit suchte und fand, war es ihm möglich, in großem Schaffensdrang über seinen engern Wirkungskreis hinaus thätig zu sein und allen Fragen von öffentlichem Interesse, namentlich aber solchen auf industriellem und wirthschaftlichem Gebiete, näher zu treten und sie in den vielen Gesellschaften, Vereinen und Instituten, denen er theils als Vorsitzender, theils als hervorragendes Mitglied angehörte, eingehend zu erörtern. Mit welcher Ausdauer, Opferwilligkeit und Uneigennüßigkeit er sich allen Arbeiten, die ihm hierbei übertragen wurden, unterzog, wissen alle diejenigen zu würdigen, welche sich zu gemeinsamer Thätigkeit mit ihm zusammenfanden.

 

„Als freier, unabhängiger Mann folgte er mit strengster Unparteilichkeit nur seiner Ueberzeugung, unbekümmert, ob er Beifall oder Widerspruch fand – das Bewußtsein redlichen, guten Handelns war sein bester Lohn; aber gerade seine Offenheit, sein ideal angelegter Charakter und sein Gerechtigkeitssinn brachten ihm die volle Werthschäßung auch der Gegner seiner Anschauungen.

 

„Er besaß in hohem Grade die Gabe, da zu vermitteln, wo sich verschiedene Ansichten und Interessen begegneten. Die Verbesserung der Lage der Arbeiter, insbesondere des Bergarbeiterstandes, hatte er sich zur Lebensaufgabe gemacht; sein Streben ging dahin, die sociale Kluft zu überbrücken und die Gegensätze zu versöhnen, welche die Interessen der Werkbesizer und deren Arbeiter in sich bergen. Was er alles auf diesem Gebiete erreicht hat, das kann an dieser Stelle nicht aufgezählt werden es wird reiche Früchte tragen.

 

„Die Organisation der Knappschafts-Berufsgenossenschaft hatte er vollendet, und er konnte mit Genugthuung auf das mit großem Erfolg Geleistete zurückblicken. Die Neugestaltung des deutschen Knappschaftswesens in Verbindung mit der geplanten Alters-, Invaliden-, Wittwen- und Waisen-Versicherung der Arbeiter überhaupt war seine nächste Aufgabe. Die Lösung derselben ist ihm nicht vergönnt gewesen; die Vorsehung hat es anders gewollt!

 

Seinem Leben wurde ein allzu frühes Ziel gesetzt; doch das gesegnete Wirken dieses hochbegabten, verdienstvollen Mannes wird in Ehren bleiben und unvergeßlich sein!"

 

Dieselbe Anerkennung spricht aus dem Nachruf des geschäftsführenden Ausschusses des „Verbandes der deutschen Berufsgenossenschaften“ (1. „Berufsgenossenschaft“ 1888, Nr. 8):

 

„Seine ideale Auffassung von den socialen Pflichten der Arbeitgeber machte ihn von jeher zu einem eifrigen Vorkämpfer für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen und bestimmte ihn, seit dem Erlaß des Unfallversicherungs-Gesezes seine unermüdliche Arbeitskraft mit selbstloser Hingabe in den Dienst der berufsgenossenschaftlichen Organisation zu stellen, deren Interessen er auch als nichtständiges Mitglied des Reichs-Versicherungsamtes mit voller Objectivität zu wahren wußte. Mit Lebhaftigkeit unterstüßte er die Bildung des Verbandes der deutschen Berufsgenossenschaften, für den er als Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses unter schwierigen Verhältnissen und bisweilen nicht ohne persönliche Opfer mit unerschütterlicher Treue eintrat. Sein strenges Rechtsgefühl, seine unbedingte Zuverlässigkeit, seine humane Gesinnung und sein klares Urtheil, verbunden mit einer persönlichen Liebenswürdigkeit, welche etwaige Meinungsverschiedenheiten stets erfolgreich auszugleichen und zu versöhnen wußte, gewannen ihm das allseitige Vertrauen seiner Genossen, die seinen Verlust auf das schmerzlichste empfinden und ihm stets ein dankbares und ehrendes Andenken bewahren werden."

 

Ebenso widmet in derselben Nummer der „Berufsgenossenschaft" das Ehren-Comité der deutschen Allgemeinen Ausstellung für Unfallverhütung" dem Verstorbenen einen ehrenden Nachruf: Es ist an anderer Stelle die Größe des Verlustes geschildert geworden, welchen die deutsche Industrie und die zur Ausführung der socialpolitischen Gesetze berufenen Körperschaften durch den Tod dieses Mannes erlitten haben. Uns liegt es insbesondere ob, der nachhaltigen Unterstützung zu gedenken, die der Verstorbene unserm Ausstellungs-Unternehmen von den ersten Anfängen seiner Entwickelung an zu Theil werden ließ, und die besonders auch darin ihren wirksamen Ausdruck fand, daß er die Leitung der Commission XI (umfassend die Gruppe XVII: »Maßnahmen zum Schutze und zur Wohlfahrt der Arbeiter in der Bergbau- und Steinbruchs-Industrie«) übernahm, und mit der ihm eigenen Thatkraft sofort alle diejenigen Maßnahmen traf, welche für eine gedeihliche Entwickelung der Thätigkeit der Commission erforderlich waren."

 

(Quelle: GoogleBooks, bearbeitete Textversion in Originalsprache)