50 Jahre Kommunale Gebietsreform 2022

Früher habe ich die Situation Kohlscheids wie die Einheimischen wahr genommen und beschrieben: eher aus der Perspektive des Verlustes, mit der Betonung der Eigenständigkeit. Wenn ich über die Entwicklung seit 1972 nachdenke, verändert sich meine Einschätzung. Anregungen dazu kamen aus den Gedenkfeiern zur Gebietsreform im Jahr 2022 – Anlass, meine alten Artikel zu überarbeiten.

 

Erkenntnisse 2022

Der Blick auf Kohlscheid nur durch die Brille des Verlusts der Eigenständigkeit hilft nicht für die Zukunft. Wir werden den Anforderungen der Gegenwart Kohlscheids nur gerecht, wenn wir Kohlscheid als – wichtigen – Teil der neuen Stadt Herzogenrath sehen. Und nicht als Verlierer der Geschichte.
Viele Kohlscheider*innen empfinden heute noch die Folgen des Zusammenschluss mit Merkstein und Herzogenrath 1972 als Verlust. Es gibt Gründe, diese Erfahrung neu einzuordnen und umzuschreiben. Eine Entscheidung, in der „Phase der Identifikationslosigkeit“ (Kaymer) zu verharren, ist nicht zwingend, diese trifft jede*r für sich individuell.


Freiwilliger Zusammenschluss
1972 hat es sich keinesfalls um ein „feindliche Übernahme“ gehandelt. Nach dem Aachen-Gesetz wäre es so gewesen, wenn Kohlscheid in Aachen „eingegliedert“ worden wäre. Aber die neue Stadt Herzogenrath wurde gebildet durch die Einigkeit der Vertreter der drei Teilgemeinden. Sie zogen den freiwilligen Zusammenschloss vor. Sie verzichteten auf die damals vorgeschlagenen „Zwangszusammenführungen“.


Warum kam es zur "neuen" Stadt Herzogenrath?
Der bevölkerungsmäßig kleinste der drei Partner besaß schon lange Stadt- und Münzrechte. Da schien die Wahl für Herzogenrath einfacher, zumal Herzogenrath die Mitte der neuen, langgezogenen Stadt darstellte. Und so bildet Herzogenrath heute das Zentrum.


Schwer zu entwickeln.
Die Stadt hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 15 km, in der West-Ost-Achse sind es nur zwischen ca. 1 km in Straß und 4 km. Auf einer Länge von knapp 9 km ist die westliche Stadtgrenze die Landesgrenze zu den Niederlanden, im Wesentlichen zur Stadt Kerkrade. Im Osten grenzt die Stadtfläche an zwei Naherholungsgebiete, das Broichbach- und das Wurmtal. Dadurch die Fläche für eine sinnvolle bauliche Entwicklung für Gewerbe und Wohnen eng begrenzt.
Mit der niederländischen Stadt Kerkrade besteht eine enge Zusammenarbeit „als symbolische Doppelstadt Eurode“. Auf diesern Stadtflächen wohnen nahezu 100.000 Einwohner, eine große Herausforderung für die notwendigen kommunalen Versorgungsleistungen und  Infrastrukturen.


Gewinne und Verluste
Der Verlust der Kohlscheider und Merksteiner besteht wahrscheinlich darin, jetzt nicht mehr vor Ort im eigenen Rathaus heiraten zu können. Für alle Amtsgeschäfte muss man jetzt nach Herzogenrath. Kommunalpolitiker können besser beurteilen, ob die erfolgte Einteilung in Haupt- und Nebenzentrum finanzielle Vor- oder Nachteile hat. Gründe für unterschiedliche Entwicklungen gab es viele:
In der ersten Zeit soll der EBV als größter Grundstückseigner der Stadt Entwicklungen verhindert haben. Bevor er Grundstücke abgab, sollte daran noch einmal kräftig verdient werden. Wie stellt sich das heute dar?
Ja, mit dem Technologiepark entstanden in Kohlscheid mehr neue Arbeitsplätze als in Merkstein. Aber dort fehlen für Gewerbe taugliche Flächen. Eine weiteres Bauhindernis besteht dient Merkstein als Frischluftschneise für das Herzogenrather Wurmtal. (Ohne Merkstein keine gute Luft am Ferdinand-Schmetz-Platz).


Vorteile für Kohlscheid(er*innen)
Wenn man nicht muss, bewegt man sich weiterhin nicht nach Herzogenrath. Aachen ist ja weiterhin genauso gut erreichbar